Interview Oktober 2015
Christian Ramm - Vorsitzender der Geschäftsführung Agentur für Arbeit Freiburg
Was ist Ihre Aufgabe bei der Agentur für Arbeit Freiburg?
Als Vorsitzender der Geschäftsführung trage ich die Gesamtverantwortung für die Umsetzung der Geschäftspolitik der Bundesagentur für Arbeit hier vor Ort. Im Wesentlichen geht es darum, Menschen in Ausbildung und Arbeit zu bringen, die Arbeitgeber mit Fachkräften zu versorgen und Sozialleistungen schnell und rechtzeitig zu erbringen.
Im Januar 2013 startete die Fachkräfteallianz Südlicher Oberrhein. Was wurde bisher erreicht?
Eine ganze Menge. Zunächst mal, dass wir es geschafft haben, alle bedeutenden Akteure für das wichtige Thema Fachkräftesicherung an einen Tisch zu bringen: Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände, Kammern, Wirtschaftsförderer, Gewerkschaften, Hochschulen und die öffentliche Hand. Das ist ein starkes Bündnis.
Und wir brauchen es. Denn aus demographischen Gründen drohen in vielen Bereichen unserer Wirtschaft Fachkräfteengpässe mit negativen Auswirkungen auf unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit. Wenn wir unseren Wohlstand nicht gefährden wollen, dürfen wir dem nicht tatenlos zusehen. Wir müssen jetzt präventiv handeln. Einer alleine schafft das nicht. Deshalb müssen wir unsere Kräfte auf breiter Basis bündeln und auch bei unterschiedlichen Interessenlagen an einem Strang ziehen.
Wir haben inzwischen Netzwerkstrukturen geschaffen, die es uns erlauben, gleich mehrere Handlungsfelder parallel zu bearbeiten. Sie betreffen die Themen Ausbildung, Weiterbildung, Heben des Erwerbspersonenpotenzials und gezielte Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland.
Sichtbare Ergebnisse dieser Netzwerkarbeit sind zum Beispiel unsere bei Arbeitgeber sehr beliebten BUSINESS TALKs, die sich stets mit Themen der Fachkräfteallianz beschäftigen. Oder unser Engagement auf Frankreichs zweitgrößter Messe für Ausbildung, Arbeit und Weiterbildung, dem „Salon Régional Formation Emploi“ in Colmar. Unter dem Dach der Fachkräfteallianz werben dort jährlich rund 80 deutsche Arbeitgeber in einer eigenen Messehalle um französische Nachwuchs- und Fachkräfte. Auch unsere Fachkräftemesse Gesundheit und Pflege möchte ich an der Stelle erwähnen. Aber auch viele wichtige kleinere Aktivitäten gehören dazu.
Welche Trends sehen Sie derzeit für die Region Südlicher Oberrhein und welche Auswirkungen haben diese auf die Agentur für Arbeit Freiburg?
Unsere Gesellschaft befindet sich im Wandel, auch am Oberrhein. Leben und Arbeit werden flexibler und volatiler und der demographische Wandel wird bereits spürbar. Die Globalisierung setzt sich weiter fort. Es wird immer wichtiger, den Weg zur Informations- und Wissensgesellschafft weiter zu gehen. Das alles geschieht in einem rasanten Tempo. Nicht alle können Schritt halten. Weil die öffentlichen Finanzen knapp bleiben, müssen wir uns auf diejenigen konzentrieren, die unsere Hilfe am nötigsten haben. Für die anderen bauen wir die Selbstinformationsangebote und Online-Dienste aus. Wir müssen unsere Organisation und unsere Dienstleistungen diesen Veränderungen ständig anpassen – schnell und flexibel.
Vor welchen Herausforderungen steht der hiesige Arbeitsmarkt aus Ihrer Sicht?
Konjunkturelle Arbeitslosigkeit spielt am Oberrhein kaum noch eine Rolle. Viele Beschäftigte arbeiten in weniger konjunkturabhängigen Branchen wie etwa dem Gesundheits- und Sozialwesen. Die exportorientierten Unternehmen sind heute gerüstet, wenn infolge von Konjunktureinbrüchen Auftragslücken entstehen. Flexible Beschäftigungs-, Arbeitszeit- und Altersübergangsmodelle sowie beschäftigungssichernde Maßnahmen der Arbeitsförderung machen das möglich. Entlassungen wären das falsche Mittel, weil die Rekrutierungskosten im anschließenden Aufschwung zu teuer wären und die Gefahr droht, die Qualität der freigesetzten Arbeitskräfte später am Arbeitsmarkt nicht mehr vorzufinden.
Und dann sind wir schon bei der ersten Herausforderung. Langfristig drohen uns Fachkräfteengpässe. Sie hätten das Potenzial, den Wohlstand in unserer Region nicht weiter wachsen zu lassen. Darüber besteht Konsens und ist auch der Grund, weshalb wir die Fachkräfteallianz auf eine so breite Basis stellen.
Eine weitere Herausforderung ist die verfestigte Arbeitslosigkeit. Die rasante Entwicklung unserer Gesellschaft überfordert viele Menschen. Sie können aus unterschiedlichsten Gründen nicht Schritt halten und verlieren den Anschluss, auch beruflich. Es sind nicht wenige und leider nimmt ihre Zahl seit zwei Jahren sogar wieder zu. Wir brauchen immer wieder neue Ideen und kreative Lösungen, um diesen Menschen wieder eine Perspektive auf dem ersten Arbeitsmarkt zu geben.
Aktuell beschäftigt uns natürlich auch das Thema Flüchtlinge. Sie sind ein gutes Beispiel dafür, dass wir schnell und flexibel auf eine unvorhersehbare Entwicklung reagieren können. Wir wollen sie so früh wie möglich in den Arbeitsmarkt integrieren und nicht erst abwarten, bis Monate oder Jahre später endgültig über ihren Aufenthaltsstatus entschieden ist. Early Intervention heißt das Modellprojekt, das genau dieses Ziel verfolgt. Die Agentur für Arbeit Freiburg ist eines von bundesweit inzwischen neun Modellagenturen, die diesen Ansatz erproben. Unsere Erfahrungen damit sind durchweg positiv.
Welche Vorteile bieten die Nähe zum Elsass und die Zusammenarbeit mit unseren französischen Arbeitsmarktpartnern?
Im Unterschied zu weiter östlich liegenden Regionen können wir zusätzlich auf das Arbeitskräftepotenzial im Elsass zurückgreifen. Viele Fachkräfte suchen dort vergeblich Arbeit und die Jugendarbeitslosigkeit ist sehr hoch. Wenn es uns gelingt, auf französischer Seite Interesse an einer Beschäftigung in Deutschland zu wecken, wir Sprachbarrieren überwinden und kulturelle Unterschiede respektieren, können beide Regionen, das Elsass und Südbaden, im starken Maße voneinander profitieren. Deshalb war es uns auch wichtig, unsere französischen Partner für die Fachkräfteallianz zu gewinnen.
Was fasziniert Sie am meisten an der Region Südlicher Oberrhein?
Die Landschaft, die Menschen und ihr Engagement. Das ist schon herausragend.
Wenn Sie Zugezogener sind: Welches sind die größten Unterschiede im Vergleich zu Ihrer Heimatregion?
Auch hier natürlich die Landschaft und das Klima. Aber auch die Nähe zu Frankreich und der Schweiz
Wie lautet Ihr Motto?
Nie den Optimismus verlieren.